Auf ein Soda mit dem Expertisebereich Ethik und Recht

Interview von Gabriele Zöllner mit Katharina Leyrer und Michael Markert

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Abb.1: Dürfen Klassenfotos wie dieses online frei zur Verfügung gestellt werden? Eine Frage, mit der sich die Fachexpertise Recht und Ethik auseinandersetzt. Primarschule Wuelflingen Klassenfoto um 1890. Winterthurer Bibliotheken, Sammlung Winterthur, CC BY 4.0.

Bei der Digitalisierung universitärer Sammlungen spielt eine große Bandbreite ethischer und rechtlicher Fragestellungen eine Rolle: Von Fragen des Urheber- und Persönlichkeitsschutzrechtes über den Umgang mit Objekten aus Unrechtskontexten bis hin zu Barrierefreiheit und ethischen Herausforderungen von KI-Scraping. Die SODa-Fachexpertise Recht und Ethik sammelt und ordnet diese Fragestellungen, vermittelt Kompetenzen zum Umgang mit ihnen und zeigt anhand verschiedener Fallbeispiele potentielle Lösungswege auf. Im Gespräch mit Gabriele Zöllner geben Michael Markert und Katharina Leyrer Einblick in ihre Arbeit und die Angebote der Fachexpertise.

Warum gibt es in SODa eine Fachexpertise Ethik und Recht?

MM: Der Expertisebereich „Ethik und Recht“ ist bei der Digitalisierung unverzichtbar, gerade wenn es um die Arbeit mit Sammlungsdaten geht. Dabei geht es nicht nur um urheberrechtliche Fragen oder die Veröffentlichung geschützter Kunstwerke, sondern auch um komplexe ethische Fragestellungen. In einer digitalen Welt, in der Sammlungen zunehmend online zugänglich gemacht werden, müssen wir sicherstellen, dass wir nicht nur die rechtlichen Rahmenbedingungen einhalten, sondern auch ethische Verantwortung übernehmen. Das betrifft zum Beispiel den Umgang mit menschlichen Überresten oder Objekten aus kolonialen Kontexten, die in vielen Sammlungen vorkommen.

KL: Ethische und rechtliche Fragestellungen durchziehen den gesamten Lebenszyklus von Sammlungsdaten, vom ersten Schritt der Planung des Digitalisierungsprojekts bis hin zur Langzeitarchivierung. Eine der zentralen Fragen, die wir uns stellen, ist: Habe ich überhaupt das Recht, bestimmte Daten zu veröffentlichen? Und sollte ich es aus ethischer Sicht tun, selbst wenn es rechtlich möglich ist? Diese Spannungsfelder machen unsere Arbeit so relevant.

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Abb. 2: Michael Markert, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Foto: Grit Hiersemann, Jena.
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Abb. 3: Katharina Leyrer, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Foto: privat.

Das klingt nach einem breiten Spektrum an Aufgaben. Könnt ihr genauer darauf eingehen, welche konkreten Aufgaben der Expertisebereich „Ethik und Recht“ übernimmt?

KL: Mit der Digitalisierung und den damit verbundenen neuen Zugangsmöglichkeiten hat sich viel verändert und neue Herausforderungen sind entstanden. Unsere Hauptaufgabe ist es, Sammlungsbearbeiter*innen und Forschende darin zu unterstützten, Lösungen für ihre konkreten rechtlichen und ethischen Fragestellungen bei der Digitalisierung und der Datenpublikation zu finden. Dazu bieten wir Schulungen, Workshops und Einzelberatungen an. Dabei geht es um ganz unterschiedliche Fragen: Welche Objekte in meiner Sammlung unterliegen dem Urheberrecht? Gibt es Persönlichkeitsrechte, die ich beachten muss? Oder: Wie gehe ich mit Objekten um, die in einem kolonialen Kontext erworben wurden? Nicht zuletzt stehen wir den Kolleg*innen zur Seite, wenn es um die Auswahl von Lizenzen für die Veröffentlichung von Digitalisaten geht. Creative-Commons-Lizenzen sind hier oft eine gute Wahl, weil sie Nachnutzung ermöglichen und den Open-Access-Gedanken fördern. Oft geht es darum, maßgeschneiderte Lösungen für die konkrete Sammlung und den konkreten Kontext zu finden.

MM: Ein weiteres wichtiges Feld ist die Unterstützung bei der Datenmodellierung. Wie bildet man ethische Fragestellungen überhaupt in einer Datenbank ab, in der entsprechende Felder oft nicht vorgesehen sind? Wie also wird Datenethik in den Systemen konkret. Ein neues und immer wichtigeres Thema ist die Implementierung von Künstlicher Intelligenz bei der Datenbereinigung und Anreicherung. Diese Technologien bieten enorme Chancen, werfen aber auch neue ethische Fragen auf. Wie transparent ist der Einsatz von KI? Welche möglichen Verzerrungen, etwa durch Gender- oder Racial Biases, entstehen in den Daten?

Ihr habt angesprochen, dass ethische Fragen den gesamten Lebenszyklus von Sammlungsdaten betreffen. Könnt ihr das etwas näher erläutern?

KL: Der Lebenszyklus von Sammlungsdaten beginnt bereits bei der Planung eines Digitalisierungsprojekts. Hier stellt sich zum Beispiel die Frage: Wie beschaffe ich die nötige Hardware, ohne ethische Prinzipien zu verletzen, etwa im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Produktionsbedingungen? Wenn es sich um menschliche Überreste oder sogenannte „secret/sacred objects“ handelt, müssen wir uns fragen: Ist es überhaupt ethisch vertretbar, diese Objekte zu digitalisieren?

MM: Und das zieht sich dann weiter durch die Phasen der Datenbearbeitung und -analyse. Besonders spannend wird es, wenn wir über den Einsatz von Machine Learning sprechen. Diese Technologien können uns helfen, neue Forschungsfragen zu beantworten, aber sie bringen auch ethische Herausforderungen mit sich – zum Beispiel im Bereich der Daten-Transparenz. Der letzte Schritt des Lebenszyklus ist die Veröffentlichung oder das Teilen der Daten. Hier greifen rechtliche und ethische Fragestellungen oft ineinander. Nicht alles, was rechtlich erlaubt ist, ist auch ethisch unbedenklich. Deshalb müssen wir auch diskutieren, ob der Zugang zu bestimmten Daten eingeschränkt werden sollte.

Welche Ziele verfolgt der Expertisebereich in der Zukunft? Welche Entwicklungen seht ihr auf euch zukommen?

MM: Ein wichtiges Ziel ist es, die rechtlichen und ethischen Standards in der Sammlungsarbeit nachhaltig zu verankern – nicht nur in den Universitäten, sondern auch in Museen und anderen Institutionen. Wir wollen den Kolleg*innen das nötige Rüstzeug an die Hand geben, damit sie selbstständig Entscheidungen treffen können, die sowohl rechtlich als auch ethisch fundiert sind. Dafür ist die Verzahnung der verschiedenen Expertisebereiche in SODa besonders wichtig, weil ethische und rechtliche Herausforderungen überall auftreten können.

KL: In Zukunft wird es auch noch stärker darum gehen, neue Nutzungsszenarien vorherzusehen. Technologien wie 3D-Digitalisierung und Visualisierungen werden immer wichtiger; Daten, die frei im Netz zur Verfügung stehen, sind auch durch Dritte verwertbar, beispielsweise im Kontext von Maschinellem Lernen. So beraten wir gerade mehrere anatomische Sammlungen bei der Vorbereitung eines gemeinsamen Forschungsportals zu CT-Scans historischer Fötenpräparate aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Hier geht es etwa darum, wer Zugang zu welchen Bild- und Metadaten erhält oder ob die Verwendung von Digitalisaten in der universitären Lehre erlaubt sein soll. Für 2025 planen wir außerdem verschiedene Workshops zu den Open-Knowledge-Projekten Wikipedia, Wikidata und Wikimedia Commons, in denen wir einerseits vermitteln, wie Sammlungen selbst in Wikimedia-Projekten Daten beitragen, bearbeiten und veröffentlichen können, und andererseits darauf eingehen, welche ethischen und rechtlichen Aspekte hier eine Rolle spielen.

_Einen Einblick in die Arbeit des Expertisebereichs und die bisher diskutierten Fragestellungen gibt die FAQ Ethik & Recht im Digitalisierungs-Wiki der Koordinierungsstelle für Universitätssammlungen. Haben auch Sie eine Frage zu ethischen und rechtlichen Aspekten bei der Digitalisierung universitärer Sammlungen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren!_