Auf ein Soda mit der Fachexpertise Digitale Provenienzforschung

Interview von Katharina Leyrer und Rebekka Reichert mit Gabriele Zöllner

Provenienzforschung ist mehr als eine Spurensuche: Sie eröffnet Fenster in die Vergangenheit, stellt spannende Fragen zu Ethik und Eigentum und zeigt, wie Kunst- und Kulturgüter ihren Weg durch die Jahrhunderte genommen haben. Doch wie funktioniert diese Forschung eigentlich und wie hat sie sich durch unsere zunehmend digitalisierte Welt verändert?

In diesem Beitrag sprechen Katharina Leyrer und Rebekka Reichert mit Gabriele Zöllner (Abb. 1), der Verantwortlichen für die Fachexpertise für Digitale Provenienzforschung bei SODa. Sie gibt Einblicke in ihre Arbeit, indem sie ethische und rechtliche Herausforderungen der digitalen Erschließung thematisiert, zeigt, wie digitale Werkzeuge und Datenbanken die Recherche nach Objektgeschichte prägen, und erklärt, wie die Digitalisierung die transdisziplinäre Zusammenarbeit fördern kann.

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Abb.1: Gabriele Zöllner. Foto: Johannes Schäffer, CC BY-SA 4.0.

Was ist Provenienzforschung?

Provenienzforschung rekonstruiert Biografien von Objekten. Dafür untersucht sie die Herkunft und die verschiedenen Besitzverhältnisse von Kunst- und Kulturgut – im Idealfall von der Entstehung über alle Besitz- und Ortswechsel bis hin zum derzeitigen Aufbewahrungsort.1

Die Provenienz eines Kunst- bzw. Kulturguts ist relevant für die Eigentümer:innen. Denn spätestens seit der Zeit der Aufklärung wurde die Herkunft und die Verlagerung von Objekten als Garant für ihre Authentizität bzw. Echtheit herangezogen und trugen damit zum finanziellen Wert bei. Insofern war die Ermittlung der Provenienz auch im Handel von Bedeutung.2

Doch nicht immer sind Kulturgüter einvernehmlich in ein Museum, eine Bibliothek, ein Archiv, ein Handelsunternehmen oder eben auch in eine Universität gelangt. Die Untersuchung der Objekte geschieht seit der internationalen Washingtoner Konferenz im Jahr 1998 – neun Jahre nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ – daher verstärkt vor einem politischen Hintergrund: Denn in den sogenannten Washingtoner Prinzipien einigten sich 44 Staaten und 13 nicht-staatliche Organisationen darauf, NS-verfolgungsbedingt entzogene Kunstwerke auszumachen und gerechte und faire Lösungen mit den Eigentümer:innen oder ihren Erb:innen zu erwirken. In dem 2015 gegründeten Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste sind drei Entzugskontexte bzw. Förderschwerpunkte hinzugekommen: Kriegsgutverluste, also Kulturgut, das wegen des zweiten Weltkriegs verlagert wurde, Kulturgut, das in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR entzogen wurde, und Kulturgut aus kolonialen Entzugskontexten.

Wie funktioniert eine Provenienzrecherche, wie wird vorgegangen?

Provenienzforschung ist eine objektorientierte und gleichzeitig kontextbasierte Forschung. Das bedeutet, dass die Recherche zunächst vom Objekt ausgeht und mit der Erfassung der Grunddaten sowie einer detaillierten Beschreibung beginnt. Dazu gehört insbesondere die Überprüfung von sogenannten Provenienzmerkmalen,3 wie zum Beispiel Stempeln, die sich auf Innen-, Rück- oder Unterseiten der Objekte befinden (Abb. 2).4 Daran schließt sich eine Recherche nach Vorbesitzer:innen, also Personen oder Institutionen, sowie nach den historischen Kontexten an, in denen sich das Objekt bewegte. Zum Recherchieren benutzen Provenienzforschende institutionseigene Quellen wie Inventare oder Findbücher und externe Quellen wie Archivakten, Auktionskataloge, Werkverzeichnisse usw.5

Die Ergebnisse der Recherchen werden in Projektberichten, in den Objektakten und, wenn vorhanden, in den Institutionsdatenbanken festgehalten, aber auch in Ausstellungen vermittelt. Teilweise wird das Thema Provenienzforschung wie bereits in Baden-Württemberg in den Lehrplan einiger Schulen aufgenommen.6

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Abb. 2: Paul Klee: Lebkuchen-Bild (links Vorderseite, rechts Rückseite), 1925 © Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Andres Kilger

Inwiefern hat sich Provenienzforschung durch die Digitalisierung verändert? Was genau ist „Digitale Provenienzforschung“?

Durch die Digitalisierung hat sich die Provenienzforschung weiterentwickelt. Viele Quellen für die Recherche wie Inventare, Findbücher, Auktionskataloge usw. wurden und werden weiter digitalisiert, mittels OCR (optical character recognition) durchsuchbar gemacht, mit Metadaten versehen und zur Recherche zur Verfügung gestellt. Dadurch sind bereits zahlreiche Datenbanken entstanden, die zur Recherche zur Verfügung stehen.7 Reisen in die Archive zu den Originaldokumenten sind dadurch nicht mehr in jedem Fall notwendig, was zudem eine enorme Schonung der Ressourcen – der historischen Dokumente, der Umwelt, Zeit und Geld – bedeutet.

Eine bedeutende Rolle im Bereich Kunstwissenschaft spielt beispielsweise der Fachinformationsdienst arthistoricium.net, in dessen Rahmen digitale Werkzeuge entwickelt, Veröffentlichung von Forschungsergebnissen ermöglicht und Quellenmaterial, Literatur und Bildsammlungen im Open Access bereitgestellt werden. Ein Beispiel für ein hier angesiedelt Projekt ist German Sales, bei dem Maria Effinger, Leiterin der Universitätsbibliothek Heidelberg, bereits seit 2010 in Kooperation mit verschiedenen Forschungsinstitutionen Auktionskataloge im Zeitraum von 1901 bis 1945 digital und mit Metadaten versehen bereitstellt. Für meine Masterarbeit habe ich beispielsweise einen Export von xml-Dateien mit Metadaten von Katalogen im Zeitraum zwischen 1901 und 1918 erhalten, um daraus einen auf Daten basierten Methodenansatz zu vermeintlichen Rembrandt-Gemälden im deutschen Auktionsmarkt zwischen 1901 und 1918 verfolgen zu können.8

Neben der Forschung mit Daten leisten Forschende derzeit vor allem Grundlagenarbeit in der Aufbereitung von Provenienzdaten. Sie tragen Informationen zu Objekten maschinenlesbar, also in einer strukturierten und standardisierten Form, in Sammlungsdatenbanken ein und pflegen diese. Auf dem 2024 in Betrieb genommen CCC-Portal für Sammlungsgut aus Kolonialen Kontexten in deutschen Kulturerbeeinrichtungen wurden beispielsweise systematisch und mit kontrolliertem Vokabular auch Provenienzdaten zusammengetragen und öffentlich verfügbar gemacht. Durch solche Portale können die Daten leichter gefunden, nachgenutzt, Doppelt- oder Mehrarbeit vermieden und Kollaborationen gefördert werden. Eine weitere Veränderung ist die thematische Zusammenstellung von Kulturgütern in institutionsübergreifenden Datenbanken.9 Die Objekte einer bestimmten Zeit, aus einer bestimmten Region oder eines gemeinsamen Kulturkreises können dabei digital verglichen, kontextualisiert und durch visuelle Unterstützung wie historische Fotografien, Karten oder Videos erfahrbar gemacht werden. Ein sehr schönes Beispiel dafür ist das im Jahr 2022 gelaunchte Portal Digital Benin, auf dem im 19. Jahrhundert geraubte und heute weltweit verstreute Artefakte zusammengetragen wurden.

Infolge solcher Entwicklungen verstehen wir bei SODa digitale Provenienzforschung als eine Forschung mit Datenkompetenz – also mit der Fähigkeit, Daten auf kritische Art und Weise zu sammeln, zu verwalten, zu bewerten und zu analysieren.10 Diese Kompetenz wird für Themen der Provenienzforschung angewandt, sei es ausgehend von einem Objekt, einer Objektgruppe, einer Sammlung oder von bereits zusammengetragenen digitalen Provenienzdatensätzen.

Welche Herausforderungen gibt es bei der Digitalen Provenienzforschung momentan?

In den letzten Jahren wurde deutlich, dass zur digitalen Erschließung von Objekten nicht nur die Digitalisierung in Form von hochwertigen Fotografien, Text-Scans oder 3D-Modellen zählt, sondern auch die Erschließung des Kontextes mittels strukturierter Metadaten. Forschende sind zunehmend damit konfrontiert, sich Datenkompetenzen aneignen zu müssen, die in ihrer Ausbildung oft nicht abgedeckt wurden. Sie stehen konkret vor der Aufgabe, die Objekte mit Akteur:innen, Ereignissen und Orten nachhaltig und nachnutzbar zu verbinden. Daher sind für die Digitale Provenienzforschung die Beschäftigung mit Standardisierungen,11 Normdaten und Vokabularen genauso wichtig wie der Umgang mit Quellen, Archivalien, originalen Schreibweisen oder auch lückenhaftem Wissen. Auch ethische und rechtliche Fragen gilt es zu bedenken. Viele recherchierten Informationen betreffen Personen- und Eigentumsrechte. Mitunter handelt es sich um sensible Objekte wie Human Remains und/oder Quellen, die diskriminierende, rassistische, sexistische bzw. antisemitische Inhalte und Abbildungen enthalten.

Darüber hinaus betonte Meike Hopp, Juniorprofessorin für Digitale Provenienzforschung an der Technischen Universität Berlin, bereits im Jahr 2018: Die fehlende personelle Kontinuität stellt eine Herausforderung dar, die auch die Langzeitarchivierung der Daten betrifft. Denn für die in befristeten Drittmittelprojekten erhobenen Daten und entstandenen Datenbanken ist häufig unklar, wer nach dem Ende der Projektlaufzeit die Daten sowohl technisch, finanziell als auch inhaltlich weiter betreut und damit auf dem neuesten Stand hält.12

Für welche Sammlungen ist Digitale Provenienzforschung wichtig?

Bei SODa sind wir die Ansprechpartner:innen für wissenschaftliche Universitätssammlungen in Deutschland. Diese sind thematisch so reichhaltig wie auch unsere Universitätslandschaft selbst. In den Kennzahlen zu wissenschaftlichen Sammlungen an deutschen Universitäten, die durch die Koordinierungsstelle für wissenschaftliche Universitätssammlungen in Deutschland mittels einer Umfrage 2019 erhoben wurden, haben insgesamt etwa 1170 Universitäten einen Fragebogen ausgefüllt, in dem auch Provenienzen abgefragt wurden. 316 dieser Sammlungen haben Angaben zu den Provenienzen gemacht. Abb. 3 zeigt sowohl die thematische Vielfalt der Sammlungsarten und gleichzeitig das Vorkommen von unterschiedlichen Entzugskontexten in allen Fachdisziplinen. Bei SODa sind wir daher davon überzeugt, dass für alle Sammlungen, egal welcher Fachdisziplin sie angehören, Provenienzforschung unerlässlich ist. Wenn möglichst viele Sammlungen Provenienzdaten anlegen und diese digital frei zugänglich machen, kann in Zukunft mit den Daten transdisziplinär weiter geforscht werden.

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Abb. 3: Provenienzen in deutschen Universitätssammlungen sortiert nach Kontext, n = 316, Stand: 17.12.2024

Welche Angebote plant die Fachexpertise Digitale Provenienzforschung in SODa?

Neben der jederzeit möglichen individuellen Beratung wird es in Zukunft Vorträge im Rahmen des SODa-Forums zu den für die Digitale Provenienzforschung von mir bereits angesprochenen Themen geben. Geplant ist darüber hinaus die Entwicklung von Workshops und Tutorials, die grundlegende digitale Datenkompetenzen als auch Kenntnisse zur Provenienzforschung vermitteln sollen. Als nächstes sind zusammen mit meinem Kollegen Mathias Zinnen Veranstaltungen zum Thema Provenienzforschung und maschinellem Lernen geplant.

Zusätzlich vertrete ich die Interessen in Hinblick auf digitale Provenienzforschung von Universitätssammlungen auch in Arbeitsgruppen. Dazu zählen u.a. der Arbeitskreis Provenienzforschung, das Community Cluster Digitale Provenienzforschung bei NFDI4Objects oder das Netzwerk Koloniale Kontexte.

Vielen Dank für diesen spannenden Einblick, Gabriele!

Haben Sie noch Fragen zu Digitaler Provenienzforschung? Schreiben Sie uns gerne!

Kontakt: gabriele.zoellner[at]hu-berlin.de

Fußnoten

  1. Vgl. Zuschlag, C. (2022). Einführung in die Provenienzforschung: Wie die Herkunft von Kulturgut entschlüsselt wird. Hier S. 11. C.H. Beck. 

  2. Vgl. Gramlich, J. (2017). Reflections on Provenance Research: Values – Politics – Art Markets. Journal for Art Market Studies, 1(2). Hier S. 2-4. https://doi.org/10.23690/jams.v1i2.15

  3. Beispiele für Datenbanken zu Provenienzmerkmalen: SKD Online Collection: https://www.skd.museum/forschung/provenienzforschung/provenienzmerkmale/ (Stand: 3. Februar 2025); GBV Provenienzmerkmale: https://provenienz.gbv.de/Kategorie:Provenienzmerkmal (Stand: 3. Februar 2025). Sammlerstempel Datenbank: http://www.kunst-und-kultur.de/index.php?Action=showCollectorStartPage

  4. Vielen Dank an Lisa Hackmann und Sven Haase für die Bereitstellung der Abbildungen. Vgl. zum Bild auch Haase, S. (15. April 2020). Biografien der Objekte: Alfred Flechtheim und Paul Klees Lebkuchen-Bild—Museum and the City. Museum and the City. Blog der Staatlichen Museen zu Berlin. https://blog.smb.museum/biografien-der-objekte-alfred-flechtheim-und-paul-klees-lebkuchen-bild/. (Stand: 3. Februar 2025). 

  5. Es gibt zahlreiche Leitfäden zur Provenienzforschung. Siehe beispielsweise Deutsches Zentrum Kulturgutverluste, Arbeitskreis Provenienzforschung e.V, Deutscher Bibliotheksverband, Deutscher Museumsbund, & ICOM Deutschland (Hrsg.). (2019). Leitfaden Provenienzforschung: Zur Identifizierung von Kulturgut, das während der nationalsozialistischen Herrschaft verfolgungsbedingt entzogen wurde. Deutsches Zentrum Kulturgutverluste. https://kulturgutverluste.de/sites/default/files/2023-04/Leitfaden-Anlage-Download.pdf

  6. Vgl. Theiß, A. (2023). Ein kritischer Blick zurück: Provenienzforschung in Sammlungen und Museen. In E. Seidl, F. Steinheimer, C. Weber, & Gesellschaft für Universitätssammlungen e.V. (Hrsg.), Ein kritischer Blick zurück: Provenienzforschung in Sammlungen und Museen (Bd. 7, S. 9–16, hier S. 12). Humboldt-Universität zu Berlin. https://doi.org/10.18452/28203. Auf der Webeseite vom Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung findet man ein nachnutzbares und vorgefertigtes Modul für Lehrpersonal der Sekundarstufe: https://www.schule-bw.de/faecher-und-schularten/gesellschaftswissenschaftliche-und-philosophische-faecher/landeskunde-landesgeschichte/module/bp_2016/kursstufe-streben-nach-partizipation-und-wohlstand-in-der-brd/ethnologische-sammlung-museum-universitaet-tuebingen (Stand: 3. Februar 2025). 

  7. Eine Übersicht zum Rechercheeinstieg bietet zum Beispiel das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste an: https://www.proveana.de/de/hilfe/recherchemoeglichkeiten. Siehe außerdem Theiß, A., & Weber, C. (2019). Sensibles Sammlungsgut in Universitätssammlungen. Handreichung für einen Einstieg in die Provenienzforschung. Koordinierungsstelle für wissenschaftliche Universitätssammlungen in Deutschland. https://wissenschaftliche-sammlungen.de/de/service-material/materialien/handreichung-fuer-einen-einstieg-die-provenienzforschung

  8. Vgl. als Kurzinformation zu meiner Masterarbeit https://fokum.org/gabriele-zoellner/ (Stand: 3. Februar 2025). Weitere datenbasierte Ansätze ergänzt mit Ansätzen aus dem Bereich des maschinellen Lernens werden auch verfolgt. Vgl. beispielsweise Rother, L., Mariani, F., & Koss, M. (2023). Hidden Value: Provenance as a Source for Economic and Social History. Jahrbuch Für Wirtschaftsgeschichte / Economic History Yearbook, 64(1), 111–142. https://doi.org/10.1515/jbwg-2023-0005

  9. Für einen ausführlichen Blog-Artikel zur Veränderung der Provenienzforschung durch Digitalität vgl. Lang, S. (7. August 2023). Wie hat sich Provenienzforschung durch Digitalität verändert? RETOUR. https://doi.org/10.58079/tohp

  10. Vgl. Ridsdale, C., Rothwell, J., Smit, M., Bliemel, M., Irvine, D., Kelley, D., Matwin, S., Wuetherick, B., & Ali-Hassan, H. (2015). Strategies and Best Practices for Data Literacy Education Knowledge Synthesis Report. Hier S. 3. https://doi.org/10.13140/RG.2.1.1922.5044

  11. Vgl. Andratschke, C., Hartmann, J., Poltermann, J., Reuter, B., Schmeisser, I., & Schöddert, W. (2018). Leitfaden zur Standardisierung von Provenienzangaben. https://www.arbeitskreis-provenienzforschung.org/wp-content/uploads/2022/10/Leitfaden_APFeV_online.pdf

  12. Vgl. Hopp, M. (2018). Provenienzrecherche und digitale Forschungsinfrastrukturen in Deutschland: Tendenzen, Desiderate, Bedürfnisse. In E. Blimlinger & H. Schödl (Hrsg.), ... (K)ein Ende in Sicht 20 Jahre Kunstrückgabegesetz in Österreich (Bd. 8, S. 37–61, hier S. 39). Böhlau. https://www.vr-elibrary.de/doi/10.7767/9783205201274.37